Die Pfandleihe ist eines der ältesten Gewerbe der Welt. Die dem Pfandwesen zugrundeliegenden Vorschriften der § 1205 ff. BGB und § 34 Gewerbeordnung stammen aus dem Jahr 1900. Die deutsche Pfandleiherverordnung datiert von 1963. Auch an den Abläufen hat sich nichts geändert.
Kunden kommen ins Pfandhaus und legen ihre Waren auf den Tresen. Der Pfandleiher nimmt sie in die Hand, schaut sie an, nimmt die Lupe, die Waage und bei Gold die Prüfsäure. Dann wird der Pfandschein ausgedruckt oder auch noch mit Hand geschrieben und das Bargeld ausgezahlt. Beim Auslösen das gleiche Bild: Der Kunde legt den Pfandschein vor und bezahlt Zinsen, Gebühren und das Darlehen bar zurück. Der Pfandleiher holt das Pfand und gibt es aus. Ebenso bei Versteigerungen: Die Bieter schauen sich die Gegenstände an, setzen sich in den Versteigerungssaal und heben das Bieterschild. Der Auktionator schlägt mit dem Hammer auf den Tisch: Der Zuschlag ist erfolgt, und die Ware wird dem Meistbietenden an den Platz gebracht, wo er gleich bar bezahlt.
Alles vor Ort, alles analog. Läuft doch, also warum sollte man hier etwas digitalisieren? Viele meiner Pfandleiherkollegen wollen das nicht und behaupten dabei, ihre Kunden wollten das ebenfalls nicht.
Sei es Corona oder das Geldwäschegesetz, die Banken oder das Plastikgeld gibt: Vieles hat die Stellung des Bargeldes in Deutschland erschüttert. Viele bemühen sich, dem deutschen Michel sein liebstes Kind wegzunehmen, es in der öffentlichen Meinung negativ aufzuladen und mit Bargeld Zahlende als mutmaßliche Geldwäscher zu diffamieren. Daneben fordert der Onlinehandel den stationären Handel heraus. Viele Einzelhändler sind auch digital unterwegs, sonst könnten sie nicht überleben.
Ich kann also in der Tat problemlos eine Rolex im Internet kaufen, aber ich kann sie nicht so einfach digital versetzen. Der Pfandleiher kann nämlich nach BGB nur dann wirksam Pfandrecht erwerben, wenn das Pfand weder gestohlen noch mit Rechten Dritter (z. B. durch Leasing) belastet ist. Der Versetzer (so nennen wir einen Pfandkunden) muss zwingend Eigentümer sein. Der Pfandleiher hat also sowohl die Eigentumsverhältnisse wie auch die Personalien des Versetzers festzustellen, etwa durch Ansicht eines gültigen Personalausweises.
Ich glaube, dass der Versetzer nur bei der Erstbeleihung persönlich ins Pfandhaus muss, um sich zu akkreditieren. Der Pfandleiher erfährt oft nur durch das persönliche Gespräch, ob die Person, die ihm gegenübersitzt, wirklich der Eigentümer ist. Jemand, der ein Musikinstrument beleihen will, es aber nicht spielen kann, oder ein Versetzer, der mit einer teuren Uhr an den Schalter kommt, aber nicht weiß, wofür das eine oder andere Rädchen an seinem Chronometer ist, macht sich zumindest verdächtig.
Alle Abwicklungen danach sind mit dem heutigen Stand der Technik bereits digitalisierbar. Kunden können auf Kundenportalen ihren Kontostand abfragen, Erinnerungen werden per Mail oder per App versandt, Verlängerungen werden mittels Überweisung bezahlt, und der Pfandschein kann digital zugesandt werden. Auch wenn einige Kollegen dies verneinen, weil in der Pfandleiherverordnung steht, der Pfandschein sei auszuhändigen. Sie sehen, die Vorschriften müssen dringend angepasst werden, um nicht nur technisch, sondern auch rechtlich die Digitalisierung zu ermöglichen.
Warum sollten die Versetzer alle paar Monate ins Pfandhaus gehen, um ihre Pfandscheine zu verlängern, wenn sie das von zu Hause bequem per Überweisung tun könnten? Angesichts der immer eingeschränkteren Erreichbarkeit der Innenstädte sind Kunden nicht selten mehrere Stunden für eine drei Minuten dauernde Verlängerung unterwegs. Dabei müssen sie häufig mehr Parkgebühren zahlen als Zinsen und Gebühren für die Verlängerung der Pfänder.
Die Entfernung, welche heute Beleihungen noch im Wege steht, ist beim Vario-Pfand digital leicht überwindbar. Ein Kunde aus München muss nur einmal nach Mannheim fahren, danach wickeln wir alles digital mit ihm ab. Die Reisekosten hat er heute schon nach 50 Tagen gegenüber dem klassischen Pfandkredit eingespart*.
Das Leihamt in Mannheim hat die neue Software SAP Leihhaus 1 von OSC-Si in Hamburg eingeführt. Damit können von der Pfandannahme über die Warenwirtschaft bis zum Nachweis in der Buchhaltung alle Vorgänge abgebildet werden. Es gibt keine Schnittstellen zu externen Programmen und keine manuellen Vorgänge mehr, alle Beschäftigten arbeiten also mit einer einzigen Software. Im Leihamt waren dadurch erhebliche Einsparungen möglich, die wir über günstigere Konditionen an die Kunden weitergegeben haben.
Seit drei Jahren läuft unser Produkt „Vario-Pfand“: Kunden können ihre Uhren oder ihr Gold wie bei einem Bankschließfach einlagern. Der Unterscheid zur Bank: Wir wissen, was der Kunde einlagert, können also die Gegenstände bewerten und versichern. Braucht der Kunde Geld, reicht ein Anruf oder eine E-Mail und wir beleihen den eingelagerten Wert bis zu einem gewissen Prozentsatz, überweisen den Betrag und verschicken den Pfandschein.
Bei fortschreitender Digitalisierung wäre noch mehr drin: Unsere Beschäftigten könnten einen nicht unbeträchtlichen Teil der Arbeit im Homeoffice erledigen, wir könnten die digitalen Öffnungszeiten verlängern.
Die Abläufe gingen noch schneller. Der Pfandvertrag könnte am Schalter mit der Smartwatch am Handgelenk verlängert und bezahlt werden, oder von unterwegs oder aus dem Ausland.
Wie lautete einmal eine Werbung eines Energieanbieters: „Wer macht sowas? Wir machen das!“ So isses.
* So berechnen wir: Ein Vario-Pfand über 10.000 € kostet im Leihamt 600 € Zinsen und 1.200 € Gebühren p. a., das sind ca. 5 € pro Tag. Der gleiche Pfandkredit kostet bei den meisten Mitbewerbern üblicherweise 1.200 € Zinsen und 2.400 € Gebühren p. a., das sind ca.10 € pro Tag. Der Kunde spart beim Vario-Pfand am Tag ca. 5 €. Für die Bahnfahrt rechnen wir 250 € (ICE, 2. Klasse, München–Mannheim hin und zurück).
Autor: Jürgen Rackwitz